Föhnfliegen in den Alpen

8.-9. Januar 2018

Föhnfliegen mit dem Calif - Nervenkitzel mit grandiosen Aussichten

von Tim Henzler

Am 8. und 9. Januar waren Jan Lyczywek und ich mit meinem Calif zum Föhnfliegen in den Alpen. Auf Einladung eines Freundes hin durften wir ausnahmsweise vom Segelflugzentrum Königsdorf (südlich München im bayerischen Alpenvorland gelegen) starten. Aus Lärmschutzgründen ist die Aufnahme platzfremder Flugzeuge dort recht streng reglementiert. Andere Flugplätze entlang des Alpenrandes, wie etwa Kempten, Füssen, Ohlstadt, Antersberg oder Kufstein eignen sich aber gleichermaßen als Ausgangspunkt, bieten vergleichbare Flugbedingungen im Föhn und letztlich fliegen dann ohnehin alle entlang derselben Föhn-Rennstrecken, so dass die von Königsdorf aus gesammelten Erfahrungen durchaus übertragbar sind.

 

Südföhnlagen sind leider selten, in den Vorhersagekarten aber oft schon vier, fünf Tage im Voraus gut zu erkennen. Der warme Wind, der von Süden (häufiger von Südwesten) her über die Alpen fegt, wird von einem Tiefdruckgebiet angetrieben, das von den Britischen Inseln über die Biskaya möglichst bis nach Spanien ausgreift. Je weiter dieser Trog nach Süden ausgebeult ist, desto weniger störende Westkomponente ist im Wind und desto länger hält die Lage an. Früher oder später aber ist dieses antreibende Tief dann doch mit dem allgemeinen Wetterzug unserer Breiten von West nach Ost so weit vorgerückt, dass der Föhn über den Alpen zusammenbricht und der Kaltfront mit Westwind und heftigen Niederschlägen den Weg freigibt. Die gut fliegbare Phase einer solchen Südföhnlage dauert daher selten länger als zwei Tage.

 

Für uns Segelflieger heißt das: wer im Föhnfliegen Erfahrung sammeln will, muss zu spontanen Kurztrips in die Alpen bereit sein, um diese zweitägigen Fenster zu nutzen. Das klingt aufwendig, ist aber immer wieder sehr lohnend – zumal die meisten Südföhnlagen ohnehin in den Herbst- und Wintermonaten zu erwarten sind und ein solcher Kurz-Fliegerurlaub dann eine sehr willkommene Unterbrechung der langen Thermikpause darstellt. Jan und ich waren in den vergangenen Jahren mit dem Calif in St. Johann, Unterwössen, dreimal in Königsdorf, zum Nordföhnfliegen einmal in Nötsch und einmal in Lienz und für die Westwelle des Odenwaldes in Lachen-Speyerdorf – jeweils für einen oder zwei Flugtage, und jedes dieser Abenteuer hat sich mehr als gelohnt.

 

Der Herbst und Winter 2017/18 jedoch hatte uns bisher nicht mit Föhnlagen verwöhnt. Eine extrem starke Lage am 11. Dezember hatten wir verworfen aus Angst vor zu viel Wind  - nicht ganz zu Unrecht, der Königsdorfer Spitzenpilot Benni Bachmaier schrieb in seinem OLC-Kommentar von 195 km/h Wind in 3500 Metern und von „sinnloser Turbulenz“.  Eine sehr viel zahmere Lage am 27. Dezember konnten wir zeitlich bedingt nicht nutzen. Doch dann lenkte die Ostalpen-Föhnflieger-Whatsapp-Gruppe (sowas gibt’s) unsere Aufmerksamkeit auf das erste Januarwochenende. Wer zu faul ist, Wetterkarten zu gucken, guckt einfach die Druckdifferenz von Bozen nach Innsbruck (oder die von Lugano nach Zürich) an wie einen Aktienkurs, zu finden hier:

http://www.wetteralarm.at/de/wetter/foehndiagramme/foehn-in-den-alpen.html

Und dieser DAX der Föhnflieger schien nicht schlecht zu stehen für den 6. bis 10. Januar; so sah die prognostizierte Druckdifferenz am Donnerstagabend aus:

 

Mein Calif stand flugbereit im Hänger; ich musste also nur anhängen und losfahren. Nun begann die heiße Phase der Organisation. Wo starten? Die Einladung nach Königsdorf löste dieses Problem unerwartet einfach.

Welches sind die guten Tage? Für diese Detailprognose eignet sich TopTherm ganz hervorragend, wenn man rechts oben das Häkchen „Aufreihungen“ setzt und damit die Hangwindprognose einschaltet.

 

Der Freitag war ganz offensichtlich der „Einschwingtag“, zum Fliegen üblicherweise noch uninteressant.

Der Samstag schien Potential zu haben, aber nur für weiter westlich, also näher am antreibenden Tief gelegene Startplätze (tatsächlich wurden von Hohenems bei Bregenz aus am Samstag 6000 Meter in der Welle erflogen). Der Sonntag zeigte schon in der Druckdifferenzkurve eine schwächliche Delle, die sich auch im TopTherm mit viel zu schwachem Wind bestätigte. Montag und Dienstag aber schienen gute, starke Tage zu werden mit brauchbarem Hangwind und einem Windprofil, das auch Wellen zuließ.

 

Telefonat mit Jan, Beschluss: Sonntag Anreise, Montag und Dienstag fliegen. Der Rest ist dann Kleinkram. Batterien laden, Sauerstoff tanken, die warmen Überschuhe suchen. Mit gut 200 Kilometern war die Anreise überschaubar; Sonntagabend trafen wir uns am Startflugplatz mit den Einheimischen. Startzeitpunkt für Montag? Zehn Uhr schien sinnvoll; der Schlepppilot (der tatsächlich Sepp heißt, wie man das in Bayern auch erwarten darf) wurde alarmiert und die weitere Abendgestaltung in den urbayerischen Gasthof des kleinen Örtchens verlegt.

 

Montag, 8.1.2018

Montag früh trafen Jan und ich uns früh um Sieben zum Aufrüsten, bei Dunkelheit – und dichtem Nebel. Doch aus unseren früheren Flug-Expeditionen haben wir eines gelernt: am Morgen des Flugtages sind ohnehin alle Entscheidungen getroffen, alle Räder in Bewegung gesetzt, der meiste Aufwand bereits investiert. Es macht keinen Sinn, die wenigen noch fehlenden Vorbereitungen jetzt für eine Stunde oder zwei aufzuschieben, nur um sie im Falle einer Wetterbesserung dann in Hektik erledigen zu müssen. Wir steckten also unverdrossen das italienische Edelblech zusammen – als eingespieltes Team geht das zu zweit mittlerweile in zwanzig Minuten – klebten ab, bauten den Sauerstoff ein und waren bald startbereit. Den Nebel beeindruckte das wenig.

 

Nebel ist ein prinzipielles Problem winterlicher Südföhnlagen: der ohnehin schon warme Wind aus südlichen Gefilden wird beim Abstieg im Lee der Alpen weiter erwärmt und gleitet über die Kaltluftseen, die sich in den Tälern und im Alpenvorland am winterlich kalten Boden gebildet haben. Der wärmere und leichtere Föhn hat also gar keine Chance, die schwere, bewegungslose Luft der Kaltluftseen auszuräumen. Und ist die Kaltluft feucht genug, bildet sie ein flaches, aber dichtes Nebelmeer. An dessen Grund saßen wir nun gemeinsam mit Schlepppilot Sepp und versuchten, im Grau wenigstens senkrecht über uns zarte Blautöne zu entdecken.

 

So sah die Webcam am Herzogstand, einem Alpenrandberg 25 km südwestlich unseres Startplatzes, das Nebelmeer im Vorland morgens um 10 Uhr. Blickrichtung Nordost.

 

Doch das Warten sollte sich lohnen: gegen 12 Uhr entstanden immer wieder Lücken im wabernden Nebel. Die inneralpinen Täler waren mittlerweile freigeblasen und würden uns eine sichere Landemöglichkeit bieten. Kurz nach halb eins waren wir in der Luft und stiegen durch eine der Lücken durch die Nebeldecke. Der Blick war atemberaubend: vor uns über der messerscharfen Inversion das Alpenpanorama in kristallklarer Föhnluft, unter uns die ebene, vom Wind nur leicht gewellte Oberfläche des Wolkenmeeres bis zum nördlichen Horizont. Jan und ich waren uns einig: die ganze Aktion hatte sich jetzt schon gelohnt!

 

An inneralpinen Flugplätzen wie Ragaz, Innsbruck, St. Johann/Tirol oder Niederöblarn ist das Südwindfliegen logisch: man wird an den Luvhang auf der nördlichen Talseite geschleppt und steigt dort erst einmal im Hangwind. Wellen kann man von dort aus gegen den Wind suchen; findet man nichts, spült einen der Südwind direkt wieder an besagten Hang. Wer von Flugplätzen im Alpenvorland startet, hat keinen solchen beruhigenden Auffang-Hang im Rücken. Hier rennt man im Schlepp aus der Ebene kommend gegen den Alpenrand an, den Wind auf der Nase. Wenn der Schleppzug trotz Vollast im Lee der ersten Alpenrandberge zu sinken beginnt, ist das ein gutes Zeichen: ein absteigender Wellenast! Kurz darauf ballönerte Sepps Remo nach oben weg und wir hinterher. Der aufsteigende Ast, genau wo er sein muss, über dem Kochelsee, der Standard-Einstiegsstelle. Dennoch ein blödes Gefühl, hier zu klinken, im Lee des Alpenrandes, ohne erreichbaren Luvhang, über einem fast geschlossenen Nebelmeer, in einer Welle, die durch nichts markiert ist außer der eigenen Flugwegspur auf der Moving Map.

 

Doch die Welle stand zuverlässig und hob uns auf 2400 Meter MSL, wo sie wohl von einer Windscherung zerlegt wurde. Uns blieb nur der Vorflug nach Südwesten ins Eschen-Laine-Tal, in den nächsten Leehang der Hohen Kiste. Nach bangem Suchen griff hier die zweite Welle – überstand nach kurzem Zappeln die Scherung – und trug uns bis 3500 Meter. Vor uns lag nun die weite Talsenke von Mittenwald bis Garmisch, und jenseits davon quer die gewaltige Wand des Wettersteingebirges, mit der Zugspitze als markantem höchsten Punkt. Selbst aus unserer Höhe würden wir es gegen den Wind und durch die absteigenden Äste nicht über den Grat ins Hangwind-Luv der Wetterstein-Südseite schaffen. Wir brauchten also noch eine dritte Welle im Lee des Wetterstein-Walls. Über Schloss Ellmau, bekannt durch den G7-Gipfel im Jahr 2015, soll der Standard-Einstieg stehen. Die Stelle ist erprobt und bewährt, und doch kostet es jedesmal wieder Überwindung, gegen sechzig oder achtzig oder mehr Stundenkilometer Wind direkt ins Lee einer bis über zweitausend Meter hoch aufragenden Wand vorzubohren. Sinken findet man sicher in so einem Lee, die Welle vielleicht.

 

Als wir das letzte Mal hier waren, prüfte ein übellauniger Rotor die vierzig Jahre alten Nietverbindungen des Califen durch, fand aber keine Fehler und spuckte uns unversehrt in die Welle. Diesmal jedoch bekamen wir den Einstieg geschenkt; nach verlustarmer Gleitstrecke trafen wir in 3200 Metern direkt ins Laminare. Die seltsame Ruhe im Wellensteigen ist oft beschrieben worden. Hinzu kommt eine ganz eigenartige Samtigkeit der Luft, die man sofort wiedererkennt, wenn man sie einmal erlebt hat, und die ein sicheres Zeichen für die Nähe starker Wellenaufwinde ist.

 

In 3800 Metern ebbte die Wetterstein-Welle ab, rechtzeitig vor dem Luftraum C, der hier im deutschen Alpenraum in FL130 beginnt. Die gewonnen sechshundert Meter investierten wir restlos in den zehn Kilometer kurzen Gleitsprung über den Grat nach Österreich und ins Luv des Wettersteins. Hier wartete zuverlässiger Hangwind und direkt darüber starke Wellen. Es ist übrigens gar nicht so selten, dass man direkt aus dem Hangwind-Luv in die von einem vorgelagerten Gebirgszug ausgelöste Welle weitersteigen kann (wahrscheinlich liegt das auch schlicht daran, dass man im Hangaufwind einfach mehr Zeit hat, die Welle zu suchen, als im Lee-Abwind).

 

Leider gab uns der Innsbrucker Controller wegen auf Sicht anfliegenden Jet-Verkehrs keine Freigaben über FL125, so dass uns nicht viel anderes übrigblieb, als in die Hangwindrennstrecke des Inntals vorzufliegen. Wir taten das mit etwas gemischten Gefühlen; schließlich gibt man ungern solche Höhen auf. Und im Winter sind die Kaltluftseen in den Tälern dick und die Hänge untenheraus notorisch unzuverlässig. Prompt mussten wir auf der Inntal-Nordseite an der Heiterwand im Hangwind auf Kammhöhe ums Höhehalten kämpfen. Von dort hatten wir einen schönen Blick auf unsere Außenlandewiese von letztem Jahr, mitten im Gewerbegebiet von Imst. Diesmal war sie allerdings dick verschneit – da wollten wir heute wirklich nicht hin! Also gaben wir den Weiterflug nach Westen auf und schlichen uns vorsichtig entlang der Kalkkette der Mieminger zurück, immer ganz oben an den Kämmen in ganz schwachem Hangwind.

 

Waren wir einfach zu hoch? Schwammen wir auf dem nach oben hin abflauenden Hangwind auf? Wäre der Hang 200 Meter unterhalb der Kämme besser gegangen? Oder lauerte dort schon der bewegungslose Kaltluftsee? Das wagten wir nicht auszuprobieren. Lieber warfen wir uns von der Hohen Munde aus mit Rückenwind wieder zurück an den Wetterstein, der eine Stunde zuvor so schön gewellt hatte. Doch diesmal ließ er uns warten, bis nach einer halben Stunde weiteren Höhehaltens im Hang endlich der Durchbruch in die Welle gelang. Und diesmal gab Innsbruck auch die Freigabe bis FL140.

 

Wir hatten noch eine Stunde bis Sonnenuntergang. Königsdorf liegt gerade 60 Kilometer nordnordöstlich der Zugspitze; aus der Höhe also kein Problem. Doch das bayerische Flachland lag immer noch unter weiten Nebelfeldern, hier und da von großflächigen Lücken unterbrochen. Innsbruck und Füssen waren sicher offen und gut erreichbare Alternativen, aber wir mussten uns allmählich entscheiden. Da kam gerade rechtzeitig die SMS vom Boden: Königsdorf war den ganzen Nachmittag dicht gewesen, aber jetzt gibt es eine große, stabile Lücke; Ihr könnt anfliegen. Wir stürzten uns mit Rückenwind nach Haus und kamen 1800 Meter über Platz an. Tatsächlich lag der Flugplatz gut sichtbar gerade am Rande eines großen wolkenfreien Lochs. Wir hatten Zeit, genüsslich die Höhe abzukreisen.

Dienstag, 9.1.2018

Am nächsten Tag wollten auch einige Königsdorfer Piloten fliegen. Der Dienstag begann wie der Montag: Ausräumen bzw. Aufrüsten im Dunkeln, dichter Nebel, langes Warten. Zeitweise schien der Nebel sogar dichter als am Vortag; vom Bahnende konnten wir die Hallen nicht mehr sehen. Doch dann löste sich die Suppe schneller und großflächiger auf als tags zuvor. Die ersten Eigenstarter meldeten starken Wind – schon in 1000 Metern MSL über 60 km/h – und gutes Wellensteigen schon am Blomberg, einem vom Alpenrand aus weit nach Norden ausgreifenden, niedrigen Rücken.

 

Auch wir wurden dorthin geschleppt, fanden die Welle, stiegen ein wenig, verloren sie wieder. Jan schlug vor, mangels anderer Ideen alles auf eine Karte zu setzen und gegen den Wind vorzubohren, um vielleicht im Lee des eigentlichen Alpenrandes eine bessere Welle zu treffen. Die Erfolgsaussichten waren gering und wir mussten den verzweifelten Versuch bald abbrechen, um wenigstens noch mit Rückenwind den Flugplatz zu erreichen. Etwas ernüchtert landeten wir nach einer Dreiviertelstunde im windstillen Kaltluftsee.

 

Doch Sepp hatte auf uns gewartet und rollte wieder mit seiner Remo vor. Diesmal wollten wir uns auf jeden Fall bis an den Alpenrand, in die bewährten Welleneinstiege am Kochelsee oder Walchensee schleppen lassen. Doch das wurde zur Qual für den armen Schlepper: der Wind hatte in 2000 Metern auf 100 km/h zugenommen. Unsere Groundspeed betrug im Mittel unter 50 Stundenkilometer. Sepp brachte uns knapp dreißig Kilometer nach Südsüdwest; für diese Strecke hingen wir über 35 Minuten an seinem Seil. Schließlich klinkten wir, weil ihm der Sprit zur Neige ging, über dem Grat des Herzogstandes in 2200 Metern – nachdem der Schleppzug auf der Marterstrecke vom Blomberg bis zum Kochelsee sechshundert Höhenmeter verloren hatte, trotz Vollgas. Was täten wir ohne Schlepppiloten, die sich das antun? Danke, Sepp!


Jan versuchte mir die Situation dadurch schönzureden, dass bei 100 km/h Wind der kurze und schlecht angeblasene Luvhang des Herzogstands ja gar nicht nicht gehen könne. Nun, er ging tatsächlich nicht nicht, aber wirklich gehen tat er auch nicht… Bei so brutalem Wind verschwimmen die simplen Kategorien Hangwind, Rotor, Welle; ja sogar Luv und Lee. Man fliegt in einem Wildwasser aus Luft, die hier und da nach oben strudelt. Wir hatten Glück und wurden mitten über dem Walchensee in eine besser organisierte Welle gestrudelt. Fünfzehnhundert Meter unter uns jagten weiße Schaumkronen über das Wasser, und am Südwestufer des Sees schlugen die absteigenden Äste von Rotoren jene charakteristischen Muster in die Wasseroberfläche, die G Dale in seinem Buch „The Soaring Engine“ als „Cat’s Paws“, Katzenpfoten, bezeichnet. Unangenehmes Kätzchen, dem möchte man nicht versehentlich in die Krallen fliegen.


In 3000 Metern war Schluss, doch schien uns der Wind hier oben weniger stark zu sein. Nur fünf Kilometer weiter südlich stolperten wir in die nächste Welle, die uns 3600 Meter einbrachte und endlich Zeit, die Situation zu überblicken. Zu unserer Linken hatte sich im Karwendelgebirge nördlich von Innsbruck ein mächtiges, düsteres Schauergebiet eingenistet. Vielleicht trug sein Kaltluftausfluss zu den extremen Windgeschwindigkeit in den tieferen Schichten bei? Vielleicht musste auch der kräftige Luftstrahl, der über den Brennerpass strömt, dieses blockierende Niederschlagsgebiet links und rechts umfließen und blies daher hier so kräftig? Zu unserer Rechten, nach Südwesten hin, sah die Welt erfreulicher aus – insbesondere schien es hier keine über den Alpenhauptkamm übergreifenden Schauer zu geben.


Wir tasteten uns langsam vor nach Süden. Zu unserer Überraschung fanden wir eine tragende Linie, die uns weitere fünf Kilometer gegen den Wind voranbrachte und dabei bis an den deutschen Luftraumdeckel (FL130) hob. Aus dieser Position konnten wir auf den Wetterstein-Rotor verzichten und uns direkt um die Ostecke des Wettersteins herum in dessen Luv stürzen. Die zwölf Kilometer kosteten uns 1200 Höhenmeter; eine Gleitzahl von 1:10. Ein Discus, der kurz vor uns in gleicher Höhe dort angekommen war, stieg im Hangwind problemlos weg; wir jedoch konnten gerade die Höhe halten, alles Suchen brachte nichts ein. Also weiter entlang der Kante nach Westen. Im Luvhang der Zugspitze wurde das Fallen angsteinflößend. Wir querten den Talkessel von Lermoos in den kurzen, aber freier angeblasenen Luvhang des Daniel (dieser Berg heißt wirklich so) und konnten dort in knapp 2100 Metern in sattem Hangaufwind erst einmal aufatmen. Windfliegen ist nicht immer schön.


Manchmal aber doch: das Steigen setzte sich ohne jede Unterbrechung in eine wunderbare Welle bis 3800 Meter fort. Die Stimmungswechsel beim Windfliegen sind so drastisch wie die Höhenänderungen. Wenn irgend möglich, wollten wir nun im Laminaren bleiben. Die Wellenvorhersagekarten des DWD leisten dabei gute Dienste: man kann nach diesen Karten tatsächlich einzelne gerechnete Steiggebiete ortsgenau anfliegen und trifft häufig das unsichtbare Steigen. Bei diesem Flug machten wir die Erfahrung, dass wir ab einschließlich der Daniel-Welle immer am Südrand der berechneten Gebiete tatsächlich Steigen fanden.


So hoppelten wir in Höhen zwischen 3000 und 4000 Meter über die tiefverschneiten Lechtaler dem Städtchen Landeck entgegen und der nördlich davon gelegenen Parseierspitze, Schlüsselstelle und Angstgegner vieler Föhnpiloten.  Immer wieder verwandeln absteigende Wellenäste diesen von mehreren Talausgängen vermeintlich perfekt angeblasenen Südhang ohne Vorwarnung in eine tückische Abwindfalle. Doch diesmal hatten wir Glück: knapp unter der Kante kamen wir in zögerlichen, unwilligen Hangwind, mussten nur etwas vom Hang weg ins Tal verlagern, die Luft wurde samtig – Welle!


Die Welle hielt sich an die Luftraumgrenze und hörte präzise in 4700 Metern auf; wir rutschten auf derselben Wellenlinie ohne großen Höhenverlust bis zum Arlbergpass. Weiter trauten wir uns nicht; nach Hause waren es von hier aus genau 130 Kilometer und uns blieb nur eine knappe Stunde bis Sunset. Doch mit 60 km/h Südwestwind im Rücken ist alles einfacher, selbst das Wellenfinden, weil man höher ankommt. In der Landeck-Welle nochmal an den Luftraumdeckel, und dann abgleiten direkt nach Haus. Innsbruck Radar war über dieses Ansinnen zwar not amused, aber wie fast immer doch sehr kooperativ und gewährte uns auch diesen Wunsch, trotz fehlenden Transponders. Danke!

 

Fünf Minuten nach Sunset waren wir wieder am Boden, müde und glücklich. Danach in großer Runde in die Flieger-Stamm-Pizzeria, Finale eines Abenteuer-Kurzurlaubes vom Feinsten. Wer hatte gleich nochmal Zweifel, ob sich der Aufwand für sowas lohnt?